Inmitten sanierter Fassaden im Gründerzeitgebiet setzt die Böhmische Straße 34 einen Kontrapunkt. Die künstlerisch verfremdete Vorderfront des Kunsthauses Raskolnikow wirkt nicht nur als Blickfang, sondern auch als Hinweis auf die dahinter beheimatete gleichnamige Galerie und die Geschichte des denkmalgeschützten Häuschens von 1836.
In Acrylglas geätzte Buchstabenfragmente erinnern an die ehemalige Außenwerbung für Handwerker und Gewerbetreibende, deren Geschäftsräume sich oftmals in den Hinterhöfen verbargen.
Also ließen sie ihre Namen wetterfest direkt an die Hauswände schreiben. Die Farbe ging eine so feste chemische Verbindung mit dem Untergrund ein, dass hier zum Beispiel bis heute noch das aussterbende Wort Fernsprechnummer zu erkennen ist.
Der Anschluss gehörte einst dem Hausbesitzer, Dekorationsmaler Julius Jahn, der in der Pulsnitzer Straße 4 wohnte und dort im Hinterhaus seine Werkstatt hatte. Als er 1931 starb, zogen seine Erben hierher. Vermutlich war es der Sohn Willy Jahn, der das Geschäft des Verstorbenen nun auf diesem Grundstück weiterführte.
Im Vorderhaus mieteten nach wie vor einfache Leute, das Hintergebäude bot seit jeher ebenfalls Platz für Wohnungen, aber auch für einen kleinen Tanzsaal, Lagerraum und Werkstätten. Die Adressbücher listen Tischler, Drucker oder Schlosser auf; von einer Eisengießerei soll noch die Rampe zum Hof stammen.
Die verwitterten Schriftzüge an der Fassade inspirierten die Künstlerin Janina Kracht, als sie im Mai 1999 an dem Ausstellungsprojekt „Werkstoff Glas“ mitwirkte. Ihre Position zu dem Thema prägt bis heute das Straßenbild.
Kunst steckt auch hinter dem von einer bunten Glühbirne beleuchteten Eingang: Im ersten Stock leitet Iduna Böhning-Riedel die Fördergalerie des Kunstvereins, sie organisiert Ausstellungen und betreut den Künstleraustausch mit Partnerstädten Dresdens. Werke dieser Gäste hängen auch in der zugehörigen Pension. Im Erdgeschoss mit Außenplätzen im Garten florieren Bar und Restaurant „Raskolnikoff“.
Der Name spielt auf den Helden in Dostojewskis Roman „Schuld und Sühne“ an. Das waren heiß diskutierte Themen in der Wendezeit, als Molotow-Cocktails durch die Fenster solcher Szenetreffs flogen. Zum Glück war der Fußboden mit Heidesand ausgestreut. Den gibt es heute nicht mehr, nur in Gläschen abgefüllte Sandjahrgänge gehören noch zur lässig-charmanten Dekoration und erinnern an das unkonventionelle neue Leben, das in den Endachtzigern die alten Mauern erfüllt hatte. Mit der Besetzung hatten junge Kunstschaffende und Studiernde nicht nur gegen den ruinösen Verfall protestiert, sondern sich auch Räume zum Leben und Arbeiten verschafft. Daraus ging später der Kunstverein hervor.
Ein Verein, und zwar Dresdens erster Frauenverein, gegründet 1814, besaß bis zur Zerstörung 1945 das Nachbargrundstück, auf dem sich heute die Durchfahrt zur Bautzner Straße befindet. Benannt ist der Weg nach einer der ersten drei Frauen in Sachsens Landtag Julie Salinger.
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