Station Zeugen der Vorstadt

Alt und geduckt steht in der Alaunstraße 85, zwischen zwei großen Gebäuden, ein klassizistisches Denkmal. Detailgetreu abgebildet ist das Häuschen übrigens im Deckengemälde des Durchgangs zu den Kunsthöfen in der Nummer 70, die im Bauboom der Gründerjahre entstand. Durch den Baustellenstaub hindurch verklärte sich wohl der Blick zurück auf eine fast ländliche Idylle vor der Eingemeindung 1835. Aus jener Zeit stammt dieser steinerne Zeuge aus der Vorstadt. Später kamen zwar An- und Aufbauten hinzu, doch seinen dörflichen Charakter hat das Gebäude bis heute erhalten.

1827–30 mit der Adresse Alaungasse 24 errichtet, gehörte das Haus 1840 einer Witwe namens Schäfer. Ob ihr verstorbener Mann jener Gottlieb Schäfer war, den das Dresdner Adressbuch 1838 noch als Lohnkutscher führte, wohnhaft Viehw. 975, bleibt spekulativ. Fakt ist, dass nach häufigen Besitzerwechseln (1846 C. Freygang, 1850 S. Pause, 1855 G. Heeren) im Jahr 1860 der Lohnfuhrmann Siegfried Naumann sich als Eigentümer nachweisen lässt. Pferde spielten jedenfalls auf diesem Grundstück – und seinerzeit überhaupt als Transport- und Reittiere – eine wichtige Rolle, über viele Jahrzehnte standen sie hier im Stall.

Links nebenan entstand 1895 ein Viergeschosser, der sich deutlich sichtbar auf die Grundmauer des kleinen Nachbarn stützt. Im Erdgeschoss dieser Nummer 83 etablierte sich die „Sängerklause“, die spätere Rossschänke „Goldenes Hufeisen“. Stadtweit bekannt, wurde sie im Volksmund Happeldiele genannt. Bis 1974 wurden im Hinterhof Pferde geschlachtet, deren Fleisch in der Vorderhaus-Kneipe in großen, preiswerten Portionen als Buletten auf den Tisch kam. Ausgerechnet hier eröffnete 2019 ein veganes Restaurant.

Rechts nebenan steht seit 1912 mit der Nummer 87 ein Gründerzeitbau, der u.a. mehrere Familien von Reichsbahn- und Postbeamten beherbergte. Während jene auf Schiene und Dampfkraft setzten, blieben die Besitzer der Alaunstraße 85 den Pferdestärken treu. Bereits 1910 standen nun sechs motorisierte Fuhrwerke in den Garagen hinter dem Haus Nr. 85. Ebenfalls noch vor dem Ersten Weltkrieg hielt der technische Fortschritt weiteren Einzug: mit Strom-Überputzkabel zu einer Steckdose pro Wohnung mit zwei Kilowatt Maximalbelastung, mit Kaltwasser aus dem Hahn über dem gusseisernen Gossenbecken im Treppenhaus und mit Fernsprechanschluss für den Fuhrwerksbesitzer Zaunick.

1945 hatte der Krieg dessen Ehefrau zur Witwe gemacht. Sie führte das Geschäft weiter als Vermieterin von Automobilen. Deren Besitzer, zwei Männer mit Nachnamen Hähner, wohnten im Seitengebäude – vermutlich die Söhne der gleichnamigen Kohlenhändlerswitwe, die im Gartengebäude lebte. Bis 1993 stand noch die Werbeschrift für „Hochzeits- und Kraftdroschken“ an der Fassade.

Diese erhielt in jenem Jahr im Zuge der Sanierung ihren historischen Farbanstrich zurück. Die hellgelbe glatte Fläche am sonnenbeschienenen Ende der Sebnitzer Straße lockt allerdings immer wieder illegale Sprayer an, die mit rivalisierenden Signaturen auf den Hauswänden übereinander herfallen. Bewährt hat sich zum Graffitischutz, Auftragsarbeiten an Szenekünstler zu vergeben. In diesem Fall aber verhindert dies der Denkmalstatus.

Adresse
Alaunstraße 85

Koordinaten
51.069408,
13.754115

Lageplan

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