Wählt Liste 1
An der Fassade der Pulsnitzer Straße 2 ist noch eine Inschrift aus der Zeit der Weimarer Republik erhalten. Gemalt wurde der Aufruf vermutlich im Juli 1932. SPD-Anhänger hatten mithilfe von Schablonen „Wählt Liste 1!“ an viele Hauswände geschrieben. Die Farbe ging hier eine feste chemische Verbindung mit dem Mauerwerk ein und überdauerte so bis heute.
Am 11. Juli 1932 fand parallel zur ersten Wahlkundgebung der SPD ein Volksfest der Neustädter Arbeiter, Turner und Sportler statt. Zu dessen feierlichem Abschluss führte ein Festumzug von der Ecke Kamenzer/Nordstraße durch das Viertel.
20 Tage später fanden die Reichstagswahlen statt. In der Antonstadt (der heutigen Äußeren Neustadt), Pieschen, Mickten, Übigau und Trachenberge erzielten SPD und KPD insgesamt 29.000 und 11.000 Stimmen. Gemeinsam waren sie damit fast doppelt so stark wie die NSDAP mit 21.000 Stimmen. Im gesamten Wahlkreis Dresden II/Bautzen erzielte die SPD 31,1 Prozent, die KPD 14,3 Prozent und die NSDAP 39,3 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 86,4 Prozent.
Da keine Partei mit den Nationalsozialisten oder den Kommunisten koalieren wollte, kam keine Mehrheitsregierung zustande. Es folgten Neuwahlen am 6. November 1932. Mit 82 Prozent Wahlbeteiligung schickte der Wahlkreis 6-NSDAP-, 5 SPD- und 3 KPD-Abgeordnete nach Berlin. Im Reichstag bildeten die Erzfeinde der NSDAP als stärkste Kraft und die KPD erneut eine negative Mehrheit. Um einen Bürgerkrieg zu verhindern, stimmte Präsident Hindenburg schließlich zu, Hitler zum Kanzler zu ernennen, und ebnete ihm so den Weg zur Machtergreifung im Januar 1933.
Sprung in die 1990er-Jahre: Nach der politischen Wende begann in der Äußeren Neustadt, dem ersten Sanierungsgebiet Dresdens, das „große Aufräumen“ nach Jahrzehnten des Verfalls. Die maroden Altbauten wurden modernisiert, Fassaden gereinigt. An diesem Gebäude verschwand die Inschrift „Gustav Jacksch, Schneider für Civil und Militair“ über den Erdgeschossfenstern. Sie hatte seit der Bauzeit des Hauses an einen böhmischen Gewerbetreibenden erinnert. Die Wahlwerbung hingegen blieb unangetastet. Zum einen wäre die Beseitigung wohl recht aufwendig gewesen, und zum anderen wird erzählt, ein Neustädter habe die Bauarbeiter davon abhalten können, indem er ihnen eine Kiste Bier ausgab.
